Prof. Dr.-Ing. Gerhard Poll
Prof. Dr.-Ing. Gerhard Poll wurde am 5.2.1954 in Schweinfurt als Sohn der Lehrerin Marie-Anne Poll und des Ingenieurs Walter Poll geboren. Sein Vater war, mit Unterbrechung durch den Krieg, seit den 1930er Jahren im Technischen Büro des Wälzlagerherstellers VKF, später SKF, tätig und gestaltete Wälzlagerungen für Verbrennungsmotoren, Schiffsantriebe und Schienen-fahrzeuge. 1956 wechselte sein Vater in die anwendungstechnische Beratung im Außendienst, zunächst 1956 nach Köln, wo Gerhard Poll 1960 in die Grundschule kam, und dann 1961 nach Aachen. Ab 1964 besuchte Gerhard Poll das Gymnasium, zunächst in Aachen und nach einem erneuten Umzug in Schweinfurt, wo er 1972 das Abitur ablegte. Sein Vater hatte dort bei SKF die Technische Beratung Schienenfahrzeuge übernommen, nachdem er bereits zuvor in Köln und Aachen regelmäßig mit Herstellern und Betreibern von Schienenfahrzeugen zusammengearbeitet hatte. Hinzu kamen enge Kontakte zur RWTH Aachen, insbesondere zum dortigen Institut für Schienenfahrzeuge und Fördertechnik unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Max Fink (bekannt durch seine Arbeiten zur Reiboxidation und zu Schienenriffeln) sowie zum Institut für Maschinenelemente unter Prof. Dr.-Ing. Heinz Peeken, wo er Seminarvorträge über „Wälzlagertechnik“ hielt. Am Institut für Schienenfahrzeuge war er maßgeblich an der Konstruktion und dem Bau des dortigen 2-Scheiben Wälzprüfstandes in Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. Helmut Bugarcic, später Professor für Schienenfahrzeuge an der TU Berlin, und Dipl.-Ing. Hans Krause, später Leiter des Lehrgebiets Abnutzung der Werkstoffe an der RWTH beteiligt.
Gerhard Poll kam dadurch schon früh mit der Konstruktion von Maschinen und der Tribologie in Berührung. Als Peter Jost den Begriff Tribologie prägte, erfuhr sein Vater davon, der sich fortan als Tribologe verstand. Sicherlich dadurch beeinflusst begann er 1972 ein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen. Davor und In der vorlesungsfreien Zeit absolvierte er Praktika u.a. bei SKF in Schweinfurt und bei der Waggonfabrik Talbot in Aachen. Nach dem Vordiplom 1974 hat sich Gerhard Poll auf Fahrzeugtechnik, insbesondere Schienenfahrzeuge, konzentriert. Im Rahmen von studentischen Arbeiten hat er parallel ein Buchprojekt über Reibungsmechanik vollendet, sich mit röntgenographischen Eigenspannungsmessungen beschäftigt und auf Anregung von Prof. Joost Kalker von der TU Delft die elastischen Eigenschaften plastisch verformter Randzonen wälzbeanspruchter Bauteile untersucht. Er schloss sein Studium mit einer Diplomarbeit unter dem Titel „Kraftschlussuntersuchungen am Großwälzprüfstand“ 1977 ab.
Die experimentellen Untersuchungen zu seiner Diplomarbeit hat er am Großwälzprüfstand bei Thyssen Henschel in Kassel durchgeführt (später Bombardier, heute Alstom), woraus sich auch sein Forschungsthema als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promovend am Lehrgebiet „Abnutzung der Werkstoffe“ unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Hans Krause ableitete. Prof Poll formulierte dort einen Antrag im Rahmen des Rad-Schiene Forschungsprogramms des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Bei der Bewilligung ging es um Abweichungen zwischen theoretischen Vorhersagen und experimentellen Messergebnissen an Prüfständen und in Streckenfahrversuchen mit realen Schienenfahrzeugen. 1983 hat er mit seiner Dissertation „Der Einfluss der realen Systemeigenschaften auf die Kraftschlussgesetze bei wälzender Relativbewegung“ an der RWTH Aachen promoviert. Hierzu hatte er experimentelle Untersuchungen in München Freimann am Rollprüfstand, am Großwälzprüfstand bei Thyssen Henschel in Kassel sowie am bereits erwähnten von ihm modernisierten und erweiterten 2-Scheiben Prüfstand am Institut für Schienenfahrzeuge und Fördertechnik in Aachen durchgeführt. Dabei ergaben sich auch Kontakte zu u.a. Prof. Igor Kragelskii, Prof. Gerd Fleischer, Prof. Stanislaw Pytko und Prof. Kenneth Johnson sowie Prof. Klaus Knothe und Prof. Peter Meinke.
1984 ist er bei SKF in Schweinfurt in die Technischen Beratung eingetreten. Hier widmete er sich zuerst Wälzlager-Anwendungen in Schienenfahrzeugen, im Schiff- und Flugzeugbau, Werkzeugmaschinen, in der Fördertechnik, für Windenergieanlagen, Schwermaschinen und schließlich E-Maschinen. In diese Zeit fiel auch die Inbetriebnahme des experimentellen ICE Prototypen und dessen Probezerlegung nach der ersten Versuchsperiode. Eine Nebentätigkeit war die Wiederinbetriebnahme von wälzgelagerten Dampflokomotiven für die 150 Jahrfeier der Deutschen Bahnen 1985.
1987 wechselte Dr.-Ing. Gerhard Poll an das Forschungszentrum der SKF Gruppe in die Niederlande, und zwar in die Bereiche Dichtungen und Tribologie unter Leitung von Professor Efstathios Ioannides, u.a. in Zusammenarbeit mit Professor Prof. Bo Jacobson, Prof. Ton Lubrecht und John Tripp. Dabei befasste er sich mit Pendelrollenlagern, Radlagereinheiten, Stehlagergehäusen und Dichtungen, meist in Verbindung mit Fettschmierung und Beaufschlagung durch Wasser und Verschmutzung. In dieser Zeit ergaben sich auch Kontakte zur TU Eindhoven (Prof. Evert Muijderman und Harry van Leeuwen), TU Delft (Prof. Joost Kalker) und Unversität Twente (Prof. Hans Moes und Prof. Kees Venner) sowie dem Imperial College London (Prof. Alistair Cameron, Richard Sayles, Prof. Robert Dwyer-Joyce) sowie zum INSA in Lyon. Spezialgebiete waren optische Schmierfilmuntersuchungen mit Hilfe von Fluoreszenz in Dichtkontakten und die Mechanismen der Rückförderwirkung bei Dichtungen. Daraus ergaben sich u.a. internationale Vorträge bei der STLE Jahrestagung und bei der BHR Fluid Sealing Conference.
1992, nachdem SKF den Dichtungshersteller Chicago Rawhide übernommen hatte, wechselte Dr. Poll nach Elgin, Illinois in die USA als Leiter der Forschung und Produktentwicklung für abgedichtete Wälzlagereinheiten. Hier befasste er sich mit Dichtungen für LKW-Lagereinheiten (Truck Hub Units), Dichtungen für Wasserpumpen von Dieselmotoren und PTFE Dichtungen für Trockenzylinder von Papiermaschinen. Dort knüpfte er auch Kontakte zu den Professoren Richard Salant am Georgia Institute of Technology und Alan Lebeck, University of New Mexico.
Im Jahre 1996 wurde Dr.-Ing. Gerhard Poll zum Professor für Maschinenelemente und Konstruktionstechnik an der Leibniz Universität Hannover berufen und Leiter des Instituts für Maschinenkonstruktion und Tribologie, als Nachfolger von Prof. Dr.-Ing. Ernst-Günter Paland. Unter seiner Leitung wurde an Wälzlagern und anderen tribologischen Themen geforscht, größtenteils im Rahmen von DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) und IGF (Industrielle Gemeinschaftsforschung) über die FVA (Forschungsvereinigung Antriebstechnik), DGMK (Deutsche wissenschaftliche Gesellschaft für nachhaltige Energieträger, Mobilität und Kohlenstoffkreisläufe) und DKG (Deutsche Kautschuk-Gesellschaft) geförderten Vorhaben sowie im Rahmen von Verbundprojekten des Bundesministeriums für Wirtschaft. Durchgängige Themen seiner Forschungstätigkeit waren die Fettschmierung von Wälzlagern, die Reibungsberechnung von Wälzlagern, Dichtungen und Elastomerkontakte im Allgemeinen, rheologische Fluidmodelle für tribologische Anwendungen insbesondere bei elasto-hydrodynamischer Schmierung von Wälzkontakten (im engen Austausch mit Scott Bair vom Georgia Institute of Technology), WEC (vorzeitige Wälzermüdung mit Rissnetzwerken und weiß anätzenden Zonen), elektrische Belastung von Wälzkontakten mit Stromdurchgang und die Verträglichkeit von Elastomeren und Schmierstoffen sowie Schmierung, Verschleiß und Ermüdung von Dichtungen und Wälzlagern bei oszillierenden Bewegungen oder tiefen Temperaturen, Synchronisierungen für Schaltgetriebe, stufenlose Getriebe auf Basis Umschlingungsmittel oder Toroid und elektrische Hochdrehzahlantriebe für PKW.
Noch während seiner Studentenzeit hat Professor Krause, sein Doktorvater an der RWTH Aachen, ihm die von Georg Vogelpohls Witwe übergebenen nachgelassenen Dokumente über das Thema „Reibung“ überantwortet. Daraus entstand eine im VDI Verlag erschienene Schrift über Reibungsmechanik. Mitgewirkt hat er auch bei den Büchern „Dubbel – Taschenbuch für den Maschinenbau“, sowie „Konstruktionselemente des Maschinenbaus II“ (im Autorenkollektiv unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Bernd Sauer) und den entsprechenden Übungsaufgaben. Darüber hinaus ist er Autor oder Co-Autor von mehr als 300 Publikationen und Inhaber mehrere Patente.
Seit 2024 ist Prof. Poll offiziell im „Unruhezustand“, wobei er seinem Nachfolger Prof. Dr.-Ing. Max Marian beratend zur Seite steht und weiterhin Vorlesungen als Lehrauftrag hält.
Prof Poll hatte bereits früher über seinen Doktorvater, Prof. Krause und Prof. Peeken Kontakte zu Personen, die die GfT mit geprägt haben, insbesondere Prof. Gülker. Nach seiner Rückkehr aus USA wurde er 1997 Mitglied der GfT. Er engagierte sich aktiv zuerst im wissenschaftlichen Beirat dem er seit 2002 angehörte und dessen Vorsitz er 2007 übernahm. Danach wechselte er im Jahre 2016 in den Vorstand, dem er bis dato angehört. Außerdem ist er der Vorsitzender des Programmausschusses der GfT Tagung.
Prof Poll lag die Tribologie immer am Herzen und so war er auch außerhalb der GfT sehr aktiv. Er hat 2016 die Konferenz „Bearing World“ und das „Bearing World Journal“ – im Zusammenwirken mit Prof. Bernd Sauer – begründet und ist im Board der Konferenz und Vorsitzender des Editorial Boards des Journals. Er ist außerdem regelmäßiger Gast bei den Leeds-Lyon Konferenzen und den STLE Jahrestagungen und ist Mitglied des Editorial Boards des Journal of Engineering Tribology.
Für sein Engagement für das Fachgebiet Tribologie in der Industrie, Forschung, Weiterbildung und Verbandsarbeit wurde Herrn Prof. Poll am 23. September 2024 das Georg-Vogelpohl-Ehrenzeichen der Gesellschaft für Tribologie e.V. verliehen.
Prof Poll steht in einer besonderen Beziehung zum Namensgeber dieser Ehrung - Georg Vogelpohl. Dieser hat 1944 an der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Hochschule Hannover, an der Prof Poll später lange Jahre Professor und Institutsleiter war, seine Habilitationsprüfung abgelegt. Darüber hinaus hat Prof. Poll wie bereits erwähnt persönliche Aufzeichnungen von Georg Vogelpohl über dessen Witwe erhalten und für die Schrift zur Reibungsmechanik aufgearbeitet. Viele Wegbegleiter Prof. Polls sind bereits Träger des Vogelpohl Ehrenzeichens.